Ein Kommentar von Dr. Emmerich Lakatha. Der Anlass, warum ich mich mit der Enquete Kommission Würde am Ende des Lebens befasst habe, war mein Befremden darüber, wie über die Köpfe der Staatsbürger hinweg Gesetzesinitiativen zustande kommen können. Im Zusammenhang mit der Koalitionsbildung nach der Wahl 2013 wurde zwischen SPÖ und ÖVP vereinbart, die Verankerung eines Verbots der Tötung auf Verlangen in der Verfassung zu überprüfen. Die wahren Hintergründe und Details konnte ich nicht eruieren. Tatsache ist, dass diese Bestrebungen von der katholischen Kirche ausgingen und von der ÖVP unterstützt wurden. Es war für mich offenkundig, dass sie in erster Linie religiös und seitens der SPÖ koalitionspolitisch motiviert waren. Dies, obwohl ihre Verwirklichung schwerwiegende Auswirkungen für die Gesamtbevölkerung nach sich ziehen würde.
Die katholische Kirche ist ein fixer Bestandteil unserer Gesellschaft, aber nicht in jeder Hinsicht gesellschaftsfähig. Sie hat nicht gelernt, auf gegenteilige Meinungen anderer Rücksicht zu nehmen. Sie fühlt sich im Besitz der von Gott geoffenbarten Wahrheiten und als von ihm beauftragt, seinen Gesetzen auch in der heutigen Zeit Geltung zu verschaffen. Weil sie weder verlieren kann noch neben den Ihren andere Standpunkte bestehen lässt, und weil sie sich stets als Gewissen der Gesellschaft fühlt, ist sie nur beschränkt demokratiefähig. Von ihrer Verfassung her ist sie eine Theokratie, deren Hierarchie unbeschadet der Meinung ihrer Mitglieder entscheidet. Wenn ich es richtig betrachte, ist ihr Wunsch nach einem verfassungsrechtlich verankerten Verbot der Tötung auf Verlangen ein Ausfluss ihres dogmatischen Denkens. Da es im staatlichen Bereich keine Dogmen gibt, strebt sie eine Verfassungsbestimmung als Quasidogma an. Dadurch sollen wie bei einem Dogma alle Gegner mundtot gemacht und Gegenströmungen pönalisiert werden.
Wie viele andere Institutionen ist sie bestrebt, Schlüsselpositionen mit ihren Gefolgsleuten zu besetzen. Sie versteht sich sehr gut auf ein Lobbying, sodass sie im öffentlichen Bereich, in den Parteien, in der Wirtschaft und überall sonst ihre Leute sitzen hat. Dabei hat ihre Machtstellung religiös motivierte Fundamente. Eines von diesen ist das Allgemeine Priestertum. Aufgrund dessen ist jeder Getaufte berufen, am Reich Gottes mitzuwirken. Da die Kirche Stellvertreterin Gottes ist, hat er sich dabei nach den kirchlichen Vorstellungen von Gott, der Welt und der Moral zu richten. Wie er seinen Einfluss ausübt, hängt von seinem Umfeld ab. Damit ergibt sich ein weitverzweigter Verteilungsmechanismus, der von der Spitze bis tief nach unten reicht.
Christen in verantwortungsvollen Positionen haben einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Ein christlicher Politiker hat die Gewissenspflicht, soweit wie möglich auf das politische Geschehen im kirchlichen Sinne einzuwirken. Heute ist das Bußsakrament, also die Beichte, selbst bei vielen praktizierenden Katholiken außer Übung gekommen. Nicht aber bei Strenggläubigen. Bei diesen hat ihr Seelenführer noch immer eine politische Bedeutung. Ihm gegenüber sind Staatsmänner, Richter, Beamte und andere Entscheidungsträger für die Einhaltung der katholischen Anliegen verantwortlich. Andere, die das Bußsakrament nicht oder nur mehr selten üben, können sich dem Einfluss ihres klerikalen Umfelds kaum entziehen.
Einst wurde Österreich von den streng katholischen Habsburgern regiert. So war es ein katholisches Land. Diese Geschlossenheit wurde insbesondere durch die Aufklärung und die Umwandlung Österreichs in eine Demokratie zerschlagen. Neben den katholischen Domänen entstanden andere Denkrichtungen. Es begann vor allem bei Rot und Schwarz ein Lagerdenken, das vor allem zwischen Kirche und der Roten Arbeiterschaft eine Eiszeit entstehen ließ, zu deren Überwindung Kardinal König entscheidend beitrug. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, zu denen die katholische Priesterschaft von der Kanzel aus ihre Gläubigen verpflichtete, Schwarz, also die ÖVP, zu wählen. Weil niemand mehr solche kulturkampfmäßige Zeiten wünscht, entstand auch bei den ehemaligen Kirchengegnern eine echte Koalitionsbereitschaft. Für die ÖVP hörte damit die Kirche auf, ein verlässlicher Partner zu sein. Trotzdem gehört nach wie vor ein großer Teil ihrer Wählerschaft dem konservativen Lager an. Dadurch blieb die ÖVP die der Kirche nahestehende Partei. Dies machte sich auch bei der Enquete Kommission bemerkbar.
Bei allen Fragen, die das menschliche Leben betreffen, offenbart sich eine unüberwindbare Kluft zwischen dem von der Kirche vertretenen christlichen und dem naturwissenschaftlichen Weltbild. Ich bezweifle zwar, dass die ÖVP noch jetzt in ihrer Gesamtheit die kirchliche Auffassung vertritt. Den christlichen Wortführern wird aber kaum offen widersprochen. Das ist das Hindernis für die Verwirklichung notwendiger Reformen. Man kann nur darauf vertrauen, dass es in der heutigen ÖVP nicht mehr nur den konservativen Flügel gibt.
Dr. Emmerich Lakatha, Jahrgang 1932, ist katholischer Theologe und Rechtswissenschaftler. Der ehemalige Priester, der sein Amt niederlegte und eine Ehe schloss, ist seit 11 Jahren in Wien als Aushilfspriester tätig.