Einstimmig hob am Freitag der Oberste Gerichtshof für Kanada eine strafrechtliche Bestimmung auf, die, ähnlich wie §78 des österreichischen Strafgesetzbuches, jegliche Form der Suizid-Beihilfe verboten hatte. Mit seinem bahnbrechenden Urteil hielt der Gerichtshof erstmals fest, dass unter gewissen Umständen das Recht auf einen selbstbestimmten Tod mit einem Recht auf Sterbehilfe einhergeht. Ferner stellte der Gerichtshof fest, dass Suizidbeihilfe eine ärztliche Leistung darstellt. Ob ein Arzt Suizidbeihilfe leisten möchte sei ihm jedoch als grundlegende Gewissensentscheidung überlassen. Sehr kritisch betrachtete der Gerichtshof die umfassende Formulierung des Beihilfeverbots: verboten wurde nämlich jede Form der Suizid-Beihilfe, unabhängig von den konkreten Umständen; einzelfallbezogene Billigkeitsüberlegungen waren somit ausgeschlossen. Das Verbot wurde daher als unangemessen und unsachlich aufgehoben, die Aufhebung jedoch auf 12 Monate suspendiert; in diesem Zeitraum müsse der kanadische Gesetzgeber eine entsprechende Gesetzesreparatur vornehmen.
„Jeder, der sich mit dieser Thematik aus österreichischer Perspektive befasst hat, sollte ob der kanadischen Entscheidung hellhörig werden. Die gesetzliche Ausgangssituation in Österreich ist nämlich sehr ähnlich und die Argumente pro und contra praktisch ident“ meint Eytan Reif, Mitgründer des ersten Sterbehilfevereins „Letzte Hilfe“, dessen Aktivität in Österreich vorerst behördlich untersagt wurde. „Es ist unbegreiflich, dass während in Kanada ein Höchstgericht ein Recht auf Sterbehilfe anerkennt, hierzulande über Sterbehilfe gar nicht diskutiert werden soll“ so Reif in Abspielung auf die parlamentarische Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“. Die abschließende Sitzung dieser Kommission fand am 23. Jänner 2015 statt, ohne dass sie sich mit Fragen der Sterbehilfe je auseinandergesetzt hat. Laut Reif habe die Entscheidung in Kanada für Europa zwar keine konkrete Bedeutung, die Signalwirkung des Urteils sollte hingegen aber nicht unterschätzt werden: „Der klaren Argumentationslinie des kanadischen Gerichtshofes werden sich Länder wie Großbritannien und letztendlich auch Österreich, in denen eine ähnliche Verbotskultur herrscht, nicht entziehen können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kläger wie Lee Carter oder Hollis Johnson auch hierzulande ihr Recht auf Sterbehilfe erfolgreich einklagen werden“.
Eine Entscheidung des Wiener Verwaltungsgerichts über die eingebrachte Beschwerde gegen die behördliche Nichtzulassung des Vereins „Letzte Hilfe“ ist noch ausständig. Die Vereinsgründung sowie das begleitende Gerichtsverfahren werden von der „Initiative Religion ist Privatsache“ unterstützt.