Ein Kommentar von Michaela Huber
Prof. Dr. Raymond Voltz, Direktor des Zentrums für Palliativmedizin der Uniklinik Köln behauptet, dass die derzeitige Debatte über ärztlich assistierten Suizid nur für einen verschwindend kleinen Prozentsatz der Betroffenen von Bedeutung sei. 99 Prozent würden eine flächendeckende und gute Palliativversorgung brauchen. Diese „verschwindend kleine Anzahl“ von einem Prozent sind laut „Sterbehilfe Deutschland“ immerhin 8000 Sterbende pro Jahr. Und wenn diese 8000 Menschen von Palliativmedizin nicht erreicht werden können, sollte es niemals nur eine Diskussion über den Ausbau der Palliativmedizin geben, sondern eben auch darüber, dass Sterbehilfe für diese 8000 Menschen ein Thema ist und sie einen guten Grund für ihren Wunsch haben.
Palliativmedizin darf Sterbehilfe bzw. assistierten Suizid niemals ausschließen, zumal ich glaube, dass Sterbehilfe in der Öffentlichkeit viel zu wenig Thema ist bzw. sein darf. Großartige Menschen wie Brittany Maynard, die durch ihr selbstbestimmtes Sterben durch das Medikament Natriumpentobarbital und ihren Gang in die Medien ein wichtiges Zeichen setzen, tragen wesentlich dazu bei, dass Sterbehilfe bzw. assistierter Suizid in der Bevölkerung bekannter wird. Ich glaube, dass die meisten Menschen, die Sterbehilfe vehement ablehnen, nie jemanden in ihrem nahen Umfeld erlebt haben, der unheilbar krank war und den Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben gehabt hat.
Warum ist es nicht möglich, dass jeder Mensch hier ganz selbstbestimmt entscheiden kann, ob er Palliativmedizin oder assistierten Suizid in Anspruch nimmt und dies möglichst in seinem persönlichen Umfeld und gemeinsam mit den Menschen, die ihm wichtig sind?
Ich selbst bin aus Österreich, und mein Vater wollte gemeinsam mit uns in die Schweiz fahren und im Kreise seiner Familie das tödliche Medikament einnehmen. Er litt an Lungenkrebs und zum Schluss auch an einem Tumor, der zwischen Kehlkopfdeckel und Zungengrund saß. Wir hatten schon Kontakt in die Schweiz, und wir haben den Wunsch meines Vaters absolut verstanden, hätten ihn dabei unterstützt und auch begleitet, auch wenn wir uns damit strafbar gemacht hätten. Ich empfinde es als absolute Zumutung, dass schwerkranke Menschen für diesen Wunsch in ein anderes Land fahren müssen, also die Strapazen einer langen Reise auf sich nehmen müssen, um dann in irgendeinem Zimmer ohne ihre Angehörigen sterben zu müssen. Was ist mit den Menschenrechten in diesem Bereich? Diese werden durch Menschen wie Wolfgang Gerstl, einem Mitglied der parlamentarischen Enquetekommission und ÖVP-Verfassungssprecher, völlig untergraben.
Warum war es meinem Vater nicht möglich gewesen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, um selbstbestimmt zu sterben? Ein Medikament, das sanft vom Schlaf in den Tod übergeht, ganz legal zu bekommen, das er dann einnimmt, wenn er das Gefühl hat, dass sein Leben nicht mehr lebenswert ist? Und dies zuhause, in seinem vertrauten Umfeld, begleitet von den Menschen, die er liebt und die ihn lieben? Ich bin froh und dankbar, dass meinem Vater diese Strapazen einer Reise in die Schweiz erspart geblieben sind, da er ganz plötzlich, ohne länger leiden zu müssen, gestorben ist, ganz so, wie er es sich gewünscht hat, im Kreise seiner Familie! Ich hätte meinen Vater bei seinem Wunsch begleitet, auch wenn ich mich damit strafbar gemacht hätte, weil ich ihn liebe! Ist das notwendig, sich in einer derartigen Situation, wo man ohnehin in Trauer ist, sich auch noch mit einem Gerichtsprozess zu beschäftigen?
Es ist Zeit, dass sich hier etwas ändert, und das heißt nicht, dass nicht auch Palliativmedizin ausgebaut werden soll. Es soll jeder Mensch für sich selbst entscheiden können, wie er sterben möchte.
Michaela Huber, Diplomsozialarbeiterin bei der Kinder- und Jugendhilfe im Bezirk Urfahr-Umgebung und Coach. Alleinerziehende Mutter einer 6 jährigem Tochter.