Ein Kommentar von Helmut Dolezal
Würde am Ende des Lebens, so lautet das Thema der Enquete-Kommission des österreichischen Parlaments. Es stellt sich die Frage, ob diese Würde eine andere ist als die in der Mitte des Lebens und ob die den Bürgern zugestandene Würde der „Menschenwürde“ entspricht. Eine Diskussion darüber, was unter Würde zu verstehen ist, scheint nicht notwendig zu sein, denn es reichen offensichtlich die Paragraphen 77 und 78 StGB, von denen zumindest abgeleitet werden kann, was mit „Würde“ unvereinbar ist.
Unklarheit gibt es nicht nur in der Terminologie sondern auch in der Praxis im Umgang mit Todkranken. So sagte z.B. der Leiter der Intensivstation eines Wiener Spitals in einem Interview, dass bei einer Schmerztherapie das erste Ziel die Schmerzlinderung sei und die Nebenwirkung den geringeren Anteil bei diesem Geschehen habe. Die Nebenwirkung, die er meinte, war der beschleunigte Eintritt des Todes.
Der Arzt bezweckt mit der Schmerzmittelgabe zwar Schmerzlinderung, akzeptiert aber den vorzeitigen Tod als Nebenwirkung. Das ist gesetzlich in Ordnung. Würde er dem Patienten dieselbe Dosis Schmerzmittel verabreichen, um durch den rascher eintretenden Tod sein Leiden vorzeitig zu beenden, so wäre das ein Verbrechen.
Es wird also nur nach der Absicht des Handelns und nicht nach den Folgen des Handelns geurteilt. Ob eine strafbefreiende Absicht nur vorgetäuscht ist, kann aber nicht kontrolliert werden.
Die Ausführung des Arztes zeigt auf, dass aktive Sterbehilfe geleistet wird, und er gesteht ein, dass Patienten manchmal nicht mehr um ihre Zustimmung gefragt werden können, da sie nicht mehr ansprechbar sind (das Delikt wäre wahrscheinlich Totschlag und nicht Töten auf Verlangen). Er handelt dann in der Annahme, dass diese Maßnahme im Sinn des Patienten ist.
Menschlich gesehen ist das verständlich. Derartiges wird vielleicht täglich praktiziert (in Österreich sterben im Durchschnitt ca. 219 Personen pro Tag). Juristisch ist das problematisch, wird aber nicht hinterfragt, weil sonst auch die Argumente für aktive Sterbehilfe greifen würden.
Problematisch ist ebenfalls die Herbeiführung des Todes durch Unterlassung (indirekte Sterbehilfe), durch die der Tod vom behandelnden Arzt bewusst in Kauf genommen wird. Ethisch ist zwischen der Herbeiführung des Todes durch Handeln und Unterlassen kein Unterschied.
Mit welchem Recht wird einem todkranken Menschen der Wunsch nach vorzeitigem Ableben vorenthalten, wenn er informiert, urteilsfähig und mündig ist? Niemand darf einem Menschen ein Handeln (auch Unterlassen ist in diesem Fall eine Handlung) gegen seinen Willen aufzwingen, ob es nun für den Betroffenen von Vorteil oder Nachteil ist.
Ein Argument gegen Sterbehilfe ist die „Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“. Praktisch gibt es diese „Unantastbarkeit“ nicht ( z.B. Waffengebrauch der Exekutive, Krieg, Todesstrafe). Nur im Falle des gewünschten eigenen Todes soll dieser Anspruch bedingungslos gelten? Was wäre die Basis einer solchen Ethik? Sie würde auf einer überpositiven Wertordnung fußen, die aber wegen ihrer metaphysischen Voraussetzung mit einem modernen, empirisch orientierten Weltbild nicht vereinbar ist.
Zum Glück für so manchen Leidenden hat es schon immer Ärzte gegeben, die sich vorrangig der Menschlichkeit verpflichtet fühlen. Das habe ich selbst erlebt, als vor ca. 50 Jahren mein Onkel an Kehlkopfkrebs erkrankt war. Als ich ihn besuchte, war er bereits zum Skelett abgemagert und muss schrecklich gelitten haben, denn er bat mich, ihm Gift zu beschaffen. Das hatte mich schockiert und verstört. Später erfuhr ich von meiner Tante unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass ihm der Hausarzt eine hohe Dosis Morphium auf sein Verlangen injiziert hatte und er daraufhin, so wie es sein Wunsch war, gestorben ist.
Es wird immer eine Minderheit sein, die in gesundheitlich auswegloser Lage bewusst aus dem Leben scheiden will. Ihr dieses Menschenrecht zu verweigern, ist nicht gerechtfertigt.
Helmut Dolezal
PS.: Die Problematik des Themas Sterbehilfe behandelt ausführlich Norbert Hoerster in seinem Buch „Sterbehilfe im säkularen Staat“ (Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1377).
Norbert Hoerster ist Dr. jur. et phil., 1974-1998 Prof. für Rechts- und Sozialphilosophie a.d. UNI Mainz.
Ing. Helmut Dolezal, geb. 1940 in Wien, absolvierte die HTL für technische Chemie in der Rosensteingasse in Wien und arbeitete als Chemotechniker in der Lackindustrie. Seit 25 Jahren übt er ehrenamtliche Sozialarbeit aus. Er war Bewährungshelfer und Sachwalter, derzeit macht er Besuchsdienst in einem städtischen Pensionisten-Wohnhaus in Wien und ist Mitgründer von „Letzte Hilfe – Verein für selbstbestimmtes Sterben“.